was ist kunst? #3

wenn sie georg k., den arzt meines vertrauens, in der stadt über den weg laufen, werden sie aufgrund seiner ercheinung nicht gleich denken: „ah, ein arzt!“ sollten sie manfred l. sehen, er ist mein belastbarer sachbearbeiter in der bank meines vertrauenes, verkündet sein outfit doch nicht seinen beruf.

falls sie ulli m. begegnen, wird ihnen nichts an ihr zurufen: „die apothekerin!“ daß christoph st. gleisdorfs bürgermeister ist, müßte man wissen, denn es gibt kein verbindliches bürgermeister-dienstgewand, das einen darauf hinweisen möchte.

aber es gibt operettenhafte aufmachungen, die sollen der welt, oder mindestens einer abendgesellschaft, umgehend ausrichten: „hallo, hier kommt ein künstler!“

eigentlich merkwürdig, daß derart „ständisches denken“ sich aus alten zeiten offenbar erhalten hat, weshalb einige leute per selbstinszenierung die zugehörigkeit zu einem jeweils „anderen stand“ proklamieren. aber gut, das sind codes, das sind milieu- und genre-fragen, das gibt es eben.

im auftreten still, in der orientierung radikal: der maler hannes schwarz

in meinem umfeld sind mir solche gesten fremd. da drücken sich lebensgeschichten eher unspektakulär aus. da werden keine standesdünkel an garderoben abgearbeitet. wie erkennen wir einander? die zeichensysteme der kunst sind grundlagen eines komplexen kommunikationsraumes. es liegt vielleicht am genre, daß manche von uns eben subtilere codes vorziehen. daran ist also nichts spektakuläres, dieser kommunikationsraum hat rundum offene zugänge.

es braucht dabei nicht einmal „türhüter“. über ein spezifisches kommunikationsverhalten und aktive anwesenheit regeln sich diese fragen. freilich stelle ich immer wieder fest, daß wir leute von sehr unterschiedlichem künstlerischem rang sind. damit möchte ich vor allem betonen, daß ich auch mit leuten zu tun habe, deren möglichkeiten und deren werk ich als viel weitreichender denn meine eigenen möglichkeiten einschätze. aber das erweist sich als unerheblich; und zwar im dem sinn, daß es uns nicht von einender trennt. vielleicht, weil es den kunstschaffenden, deren gesellschaft ich vorziehe, nicht um große gesten, sondern um intensität geht.

darin sind natürlich manche durch ihre talente und ihre praktischen erfahrungen weiter fortgeschritten als andere. etwas teilen wir aber über alle möglichen unterschiede hinweg: fragestellungen, aufgaben, pläne und vorhaben. diese dinge ereignen sich dann nicht über die gesten, sondern – wie schon erwähnt – über intensität. und dabei ist es völlig nachrangig, wie weit jemand in der sache kommt. diese positionen am ende einer arbeit sind sowieso flüchtig und stets dem wandel unterzogen.

allerdings neige ich zur ansicht, daß ohne folgende zwei eigenschaften in der kunst nicht voranzukommen ist: passion und ausdauer. als ich den alten, sehr erfahrenen maler hannes schwarz einmal gefragt habe: „worin zeigt sich meisterschaft?“, überlegte er nur kurz und antwortete lapidar: „im ergebnis.“

[überblick]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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